06.06.2023 Die Republik

Umweltjahr statt Zivildienst: Freiwillige vor!

Magazin
Junge Menschen mit Interesse an der Natur können sich im Freiwilligen Umweltjahr nicht nur für den Umweltschutz einsetzen. Sie sammeln dabei auch wertvolle Erfahrungen für ihre Zukunft.

Text: Rainer Brunnauer-Lehner

 

Alltag, das hieß für Xaver Kopf und Benjamin Schedl noch vor einem Jahr, morgens pünktlich ab acht Uhr im Klassenraum zu sitzen, Vokabel auswendig zu lernen oder penibel Angaben von Übungsbeispielen zu studieren. Xaver (19) kommt eigentlich aus Salzburg, Benjamin (20) aus dem Burgenland. Mit der Matura haben die beiden erst vor wenigen Monaten die Routine der Schule hinter sich gelassen. Dass sie jetzt gemeinsam in Wien an  einem Schreibtisch sitzen und dabei mit den Gedanken trotzdem immer ein bisschen in der Natur sind, liegt daran, dass sie sich für ein Freiwilliges Umweltjahr entschieden haben.

Ernst des Lebens

Xaver und Benjamin waren heuer schon viel draußen unterwegs, haben mit Ferngläsern Vögel beobachtet, bestimmt und in Listen dokumentiert. Sie haben künstliche Storchen-Nester in Bäume hochgezogen, auf Veranstaltungen über die Vogelwelt erzählt und mitgeholfen, Daten eines Citizen-Science-Projekts auszuwerten. Die beiden leisten ihren Freiwilligendienst bei der Vogelschutzorganisation BirdLife Österreich: „Verglichen mit der Schulzeit hat mein Leben eine 180-Grad-Wende genommen“, sagt Xaver.

Insgesamt zehn Monate werden er und sein Kollege Benjamin für die NGO arbeiten. Dafür erhalten  sie neben unterschiedlichen Fortbildungen ein kleines Taschengeld und sind voll sozialversichert.
Außerdem ersparen sie sich durch das Freiwillige Umweltjahr den Präsenz- oder Zivildienst. Das Angebot erfreut sich wachsender Beliebtheit  unter jungen Österreicherinnen und Österreichern. Mittlerweile entscheiden sich jährlich fast 100 Jugendliche für den Freiwilligendienst.

Die Möglichkeiten sind vielfältig. Mehr als 70 Organisationen bieten in über 90 Einsatzstellen in ganz  Österreich Einsatzplätze an. Die Themengebiete reichen von allgemeinem Umweltschutz und Umweltbildung sowie Natur- und Artenschutz über ökologische Landwirtschaft und Tierschutz bis hin zu Entwicklungszusammenarbeit und erneuerbarer Energie.

An allen Fronten

Teil des Programms sind sechs Ausbildungsmodule, in denen unter anderem vermittelt wird, wie Umweltschutz in Österreich funktioniert, wie er organisiert und rechtlich geregelt ist: „Davor war mir nicht ganz klar, wo der Umweltschutz  überall eine Rolle spielt. Es gibt keinen Bereich, der die Umwelt nicht betrifft“, erzählt Xaver. Darüber hinaus bekommen die jungen Menschen Grundlagen der Mediengestaltung mit auf ihren Weg. Im Laufe des Engagements muss jede und jeder Teilnehmende eine Aktion in einem Medienprojekt dokumentieren oder ein bestimmtes Thema der jeweiligen Einsatzstelle präsentieren.

Das Freiwilligenjahr vermittelt Umweltschutz als gesellschaftlichen Auftrag und zeigt, unter welchen Rahmenbedingungen er funktioniert.
Fotos: BirdLife/Lisa Lugerbauer, JUMP

Wöchentlich sind 34 Arbeitsstunden vorgesehen. Abhängig davon, ob auch Verpflegung gestellt wird, beträgt das monatliche Taschengeld derzeit bis zu 345 Euro. Außerdem gibt es Bahnvergünstigungen,
und die Kosten für die Fahrt zur Dienststelle werden komplett ersetzt. Grundsätzlich können alle Menschen mit Hauptwohnsitz in Österreich zwischen 18 und 30 Jahren ein Freiwilliges Umweltjahr antreten, das zwischen sechs und zwölf Monaten dauert. Um als Ersatz für den Zivildienst anerkannt zu werden, müssen es aber mindestens zehn Monate sein.

„Die Anerkennung war für die Bedeutung des Programms ein wichtiger Meilenstein“, sagt Claudia Kinzl-Ogris, Gründerin der Jugend-Umwelt-Plattform (JUMP) und Programmleiterin des Freiwilligen Umweltjahres. Denn vier Fünftel der jungen Männer im  Freiwilligendienst lassen sich diesen als Zivildienstersatz anrechnen. Möglich ist das seit dem Jahr 2013.

Sicherheit für Freiwillige

Zwar existierte schon in den 1990er Jahren ein Vorgängerprojekt. „Allerdings gab es damals keinen rechtlichen Rahmen für den Einsatz der Freiwilligen. Das Engagement passierte in einem Graubereich zwischen Dienstverhältnis und reiner Freiwilligkeit“, erklärt die Programmleiterin.

2011 hatte die Europäische Union das „Jahr der Freiwilligkeit“ ausgerufen. Im selben Jahr gründete sich  JU MP. Bereits 2012 wurde in Österreich ein Freiwilligengesetz verabschiedet, das unter anderem das Freiwillige Umweltjahr genauer regelte und JUMP zu dessen Trägerorganisation ernannte. Finanziert
werden die Plattform und der Freiwilligendienst inzwischen von den neun Bundesländern gemeinsam mit dem Klimaschutzministerium. „Unser nächstes Ziel ist, dass das Freiwillige Umweltjahr auch beim Taschengeld dem Zivildienst angeglichen wird. Dann würden Teilnehmende ungefähr 500 Euro im Monat erhalten“, sagt Kinzl-Ogris. Dieses Ziel könnte bereits im September erreicht werden. Denn ein entsprechender Gesetzesentwurf liegt vor und soll noch vor der Sommerpause im Parlament beschlossen werden. Die Novelle des Freiwilligengesetzes sieht außerdem ein Klimaticket für jede freiwillige Person vor.

„Die Anerkennung als Zivildienst-Ersatz war für die Bedeutung des Programms ein wichtiger Meilenstein.“

Claudia Kinzl-Ogris, Programmleiterin JUMP

Etwa 40 Prozent der Freiwilligen sind junge Frauen, für die eine Anrechnung als Ersatzdienst keine Rolle spielt. Daher ist auch die Kenntnis weiterer Motivationsfaktoren für JUMP sehr wichtig. Diese erhebt die Plattform regelmäßig: „Einer der Hauptbeweggründe ist die Berufsorientierung und das Kennenlernen von Möglichkeiten“, sagt Claudia Kinzl-Ogris. Ein zusätzlicher Anreiz sei das Klimaticket, das die Freiwilligen zukünftig erhalten sollen.

Hobby, Beruf, Berufung

Auf der anderen Seite würden die teilnehmenden Organisationen und ihre Dienststellen erheblich von Freiwilligenarbeit profitieren: „Sie schätzen den frischen Wind und den Input der jungen Generation. Die Freiwilligen bringen oft schon handfeste Fähigkeiten aus ihrer Ausbildung auf dem Letztstand mit“, so
die Programmleiterin.

Ein gutes Beispiel dafür ist Benjamin. Er kann bereits auf Berufserfahrung im Umweltschutz zurückgreifen. Schon als Schüler hat er damit begonnen, freiberuflich für ein Technikerbüro das Vogelvorkommen an Standorten geplanter Windkraftwerke zu dokumentieren: „Ich könnte auch sagen, dass ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe“, lacht er.

Dazu passt, dass die Kurseinheiten des Freiwilligen Umweltjahres nicht nur das Naturwissen vertiefen sollen. Sie tragen durch Berührungspunkte mit Expertinnen und Experten  zu einer Professionalisierung bei: „Eine meiner Leidenschaften ist das Fotografieren. Wenn man aber von jemandem etwas gezeigt bekommt, der damit sein Geld verdient, lernt man noch mal ganz anders“, sagt Xaver. Den Stellenwert des vermittelten Wissens soll neben einem Zertifikat, das den Teilnehmenden zum Abschluss verliehen wird, ein weiterer Aspekt unterstreichen: Wer später eine Ausbildung an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik absolviert, bekommt einen Teil der Studienleistung (im Ausmaß von 8 ECTS) angerechnet.

Fürs Leben lernen

Und nicht nur inhaltlich sind die Ausbildungsmodule im Freiwilligen Umweltjahr spannend: „Allein in unserer Gruppe der Ostregion sind 25 Leute im gleichen Alter, die sich alle irgendwie für die Natur interessieren. Da bildet sich schon so etwas wie eine Gemeinschaft“, sagt Benjamin. Es ist vermutlich kein Zufall, dass die beiden Freiwilligen von BirdLife für den nächsten Lebensabschnitt ähnliche Pläne haben: Beide wollen Biologie studieren.

Darauf, was sie später einmal beruflich machen werden, möchten sie sich noch nicht festlegen: „Aber ich glaube schon, dass ich immer etwas machen werde, das mit Umweltschutz zu tun hat“, sagt Benjamin. Er spricht damit etwas an, das für die Jugend-Umwelt-Plattform zentral ist: „Für die Umweltorganisationen ist der Impact durch das Freiwillige Umweltjahr unglaublich wertvoll. Die jungen Menschen kommen in einer Lebensphase grundlegender Veränderungen zu uns. Wenn wir sie mit den Erfahrungen, die sie hier machen, ein Stück weit mitprägen, hilft das dem Umweltschutz allgemein“, ist Claudia Kinzl-Ogris überzeugt.

Als prägend dürften Xaver und Benjamin ihre Erfahrungen jedenfalls in Erinnerung behalten: Beide sind von zu Hause ausgezogen und wohnen nun zumindest unter der Woche in Wien. Die Schulbank haben sie mit dem BirdLife-Büro und ihren Einsätzen in der freien Natur getauscht: „Alltag wird es immer geben“, sagt Xaver, „aber wenn der nur annähernd so aussieht wie im Freiwilligen Umweltjahr, kann man schon zufrieden sein.“

Mitmachen.

Für das Freiwillige Umweltjahr 2023/24 gibt es noch freie Plätze, für die man sich noch bis Oktober 2023 bewerben kann. Kontaktdaten und alle Infos dazu gibt es auf der Website der Jugend-Umwelt-Plattform.

www.jugendumwelt.at