08.12.2022 Die Republik

„Den Hang zum Politikmachen sollte man am Eingang abgeben“

Harald Waiglein ist seit 2012 Sektionschef im Finanzministerium und hat mit Finanzkrise, Coronavirus-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine turbulente Perioden erlebt. Lösungen für „die großen Themen der Zeit“ zu entwickeln, darin liegt für ihn der Reiz an seinem Job, der einiges an Stressresistenz erfordert.

Text: Cornelia Ritzer

 

Als Leiter der Sektion III sind Sie für Wirtschaftspolitik, Finanzmärkte und Zölle zuständig. Sie beschäftigen sich also mit vielen Themen – welche sind aktuell die wichtigsten?

Das kann man nur schwer werten, da momentan der Krieg in der Ukraine alles überlagert und sich auf alle drei Bereiche auswirkt. Die Sanktionen sind in vielen Fällen vom Zoll zu exekutieren. Dann hat der Krieg natürlich Auswirkungen auf das Finanzsystem, wo wir die Risiken kontrollieren müssen. Und wirtschaftspolitisch müssen wir an Unterstützungsprogrammen angesichts der hohen Energiepreise arbeiten. Doch ich kann nicht sagen, welcher Bereich mehr und welcher weniger betroffen ist.

Wie wirkt sich die aktuelle Situation auf die Arbeitsbelastung Ihrer 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Sektion aus?

Die ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, weil wir immer mehr Aufgaben für die Verwaltung erfinden, auch auf europäischer Ebene. Aber die Zahl der Personen, die alle diese Aufgaben erledigen müssen, bleibt die gleiche.

In einem Porträt der „Neuen Zürcher Zeitung“ wurden Sie 2015 als „Sektionschef mit ungewöhnlichem Karriereweg“ bezeichnet.  Empfinden Sie Ihren Karriereweg ebenfalls als ungewöhnlich?

Vielleicht ist er für österreichische Verhältnisse ungewöhnlich. Ich denke, in den USA oder England wäre das nicht so. Da gibt es viele Leute, die in der Studienzeit eine Band haben und Musik machen und dann Molekularbiologen oder irgendwas anderes  werden. Bei uns ist das zwar nicht so üblich, aber es ist auch nicht vollkommen außergewöhnlich.

Was ist bei uns anders als zum Beispiel in England?

Ich kann nur vom Finanzsektor sprechen, aber in England findet man viel mehr Leute, die eigentlich von ganz woanders  herkommen. Da gibt es Physiker und auch Biologen, die draufgekommen sind, dass ihr mathematisches Wissen auch im Bankenbereich gut einsetzbar ist. Die Durchlässigkeit zu anderen Sektoren ist größer. Das liegt vielleicht auch daran, dass es in den USA und in England weniger üblich ist, dass Menschen schon mit 13 Jahren wissen, was sie werden wollen, und nur auf dieses eine Ziel hinarbeiten. Sondern sie machen vielleicht die eine oder andere Kurve auf dem Karriereweg und landen dann ganz woanders, als sie geplant haben.

„Die Tätigkeit bei uns ist extrem gewinnbringend, weil man an den großen Themen der Zeit mitarbeitet und hilft, Lösungen zu entwickeln.“

Es kommt eine Pensionierungswelle auf uns zu, allerorts wird Personal gesucht. Haben Sie Tipps für Menschen, die im öffentlichen Dienst arbeiten möchten? Lohnt sich auch ein späterer Wechsel in die Verwaltung? Und welche Eigenschaften sollte man dafür mitbringen?

Es ist möglich und passiert auch immer wieder. Wir hatten zum Beispiel in letzter Zeit Wechsel von der Finanzmarktaufsicht und auch schon aus dem Privatsektor, dem Bankenbereich, zu uns. Teils hat das einen persönlichen Hintergrund, teils ist es das  Interesse. Aber es lohnt sich auf jeden Fall. Die Tätigkeit bei uns ist extrem gewinnbringend, weil man an den großen Themen der Zeit mitarbeitet und hilft, Lösungen zu entwickeln. Das ist der Anreiz.

Als Tipp würde ich jedem, der in der Verwaltung arbeiten will, mitgeben, dass man den Hang zum Politikmachen – so man den hat – am Eingang abgeben sollte. Denn wenn man Politik machen will, muss man sich um ein Amt bemühen und schauen, dass man gewählt wird. Wir sind ja nicht gewählt, darum kann es nicht unsere Aufgabe sein, Politikerinnen und Politiker zu overrulen, sondern wir sind da, um fachlich bestmöglich zu beraten. Und das ist schwer, wenn man stark ideologisch getrieben ist. Ministerinnen und Minister kommen und gehen. Unser Job ist aber, egal wer Ministerin oder Minister ist, diese Person bestmöglich zu unterstützen.

Welche anderen Eigenschaften braucht es für eine Tätigkeit in der Verwaltung?

Man muss stressresistent sein und auch  mit sehr flexiblen Arbeitszeiten gut umgehen können, weil wir manchmal die ganze Nacht über verhandeln. Und man darf nicht zu empfindlich sein, wenn es mal härter hergeht. Wir werden im Parlament oft kritisiert, teilweise geht das auch ins Persönliche. Das darf man einfach nicht überbewerten. Persönlich nehmen sollte man das überhaupt nicht.

Das Finanzministerium geriet in jüngster Zeit etwa wegen der Finanzierung von thematisch fragwürdigen Studien oder einer Hausdurchsuchung in die Schlagzeilen. Wie geht es einem da als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter auf Beamtenebene? Wie reagiert man? 

Es hat schon viele Kolleginnen und Kollegen bedrückt, in welches Licht das Finanzministerium gerückt wurde. Unser Selbstverständnis ist ja ein anderes. Steuersektionschef Gunter Mayr hat das im Untersuchungsausschuss gut auf den Punkt gebracht – „so ist die Finanzverwaltung nicht“. Man kann in dem Zusammenhang auch anmerken, dass die Personen, die das betroffen hat, überwiegend nicht aus dem Apparatdes BMF gekommen sind, sondern Quereinsteiger waren. Die Menschen hier im Haus und in der Finanzverwaltung haben ein hohes Ethos und eine sehr professionelle Auffassung von Arbeit.

Sind Sie in die Situation gekommen, das Finanzministerium verteidigen zu müssen?

Das musste ich immer wieder, in verschiedensten Zusammenhängen. Das hat mit der Finanzkrise 2008 und den Rettungsmaßnahmen für Griechenland begonnen und zieht sich bis heute durch. Wir müssen alles, was wir machen, argumentieren, aber oft auch verteidigen. Das ist auch gut so, denn ein großer Teil dieser Verteidigung findet in parlamentarischen Ausschüssen statt, wo das Parlament von uns wissen will, warum wir manche Dinge tun und ob wir sie nicht auch anders machen
können.

Vor Ihrer Tätigkeit im Finanzministerium haben Sie als Übersetzer sowie als Wirtschaftsjournalist – unter anderem bei der „Wiener Zeitung“ – gearbeitet. Welche Rolle spielen Kommunikation und damit auch Bürgernähe sowie Transparenz in Ihrer jetzigen Funktion?

Wir haben früher im Zusammenhang mit dem Finanzsektor viel erklärt und ich mache das auch sehr gerne, wenn man mich einlädt. Meine Erfahrung ist, dass der Finanzsektor in der öffentlichen Diskussion kein Thema mehr ist. Insofern haben wir momentan nicht viel zu erklären. Kommunikation ist für mich auf der Ebene der internationalen Verhandlungen am wichtigsten.

Da geht es  um gute Argumente, darum, dass man auch seine Gegenüber in anderen Ländern kennt und weiß, was deren Positionen sind und wo es eventuell Überschneidungen gibt. Und das in einer Fremdsprache auf einem extrem hohen Niveau. Wer glaubt, er kann eine Richtlinie über Bankenabwicklung verhandeln, ohne gut Englisch zu sprechen, hat schon verloren. Das internationale Geschäft beruht auf einer vertrauensvollen Kommunikation.

Seit 2012 ist Harald Waiglein als Sektionschef im Finanzministerium für die Themen Wirtschaftspolitik, Finanzmärkte und Zölle zuständig. Der Ukraine-Krieg wirkt sich auf alle diese Bereiche aus.
Fotos: Franziska Liehl

„Die Sektion III ist der Schnittpunkt zwischen der österreichischen und der internationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Gerade in Zeiten der Krise spielt sie eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der anstehenden Probleme“, sagten Sie 2012, als Sie Sektionschef wurden, über Ihre neue Herausforderung. Mit der Staatsschuldenkrise in Griechenland, der Coronavirus-Pandemie und nun dem Krieg in der Ukraine haben wir einige schwierige Zeiten erlebt. Gibt es so etwas wie den richtigen Umgang mit Krisen?

Jetzt könnte ich ganz banal sagen, man muss Ruhe bewahren und versuchen, eine Lösung zu finden. Aber wenn ich die Krisen Revue passieren lasse, gibt es kein Patentrezept. Denn jede war anders, hatte andere Ursachen und hat andere Lösungen erfordert. Man muss rasch, ehrlich und gründlich analysieren, wo eine Krise herkommt, damit man Lösungsansätze entwickeln kann. Aber das ist sehr allgemein. Eine Staatsschuldenkrise ist etwas anderes als eine Pandemie, und der Krieg in der Ukraine ist wieder etwas anderes.

Die gefährlichste Krise war für mich die Finanzkrise 2008, die aber in der öffentlichen Wahrnehmung nicht so präsent war, weil wir das Schlimmste verhindert haben. Das hätte viel dramatischer ausgehen können.

Sie haben neben Ihrer Arbeit als Sektionschef zahlreiche internationale Funktionen, unter anderem sind Sie kürzlich als  Vorsitzender des EU-Ausschusses für Finanzdienstleistungen, des Financial Services Committee (FSC), wiedergewählt worden. Wie wichtig ist der Blick über die österreichischen Grenzen hinweg für Sie und Ihre Arbeit?

Er ist sehr wichtig, weil wir ein kleines Land sind, und kleine Länder können nur bestehen, wenn sie Freunde haben und auf internationaler Ebene wahrgenommen und bekommt es in den meisten Fällen. Oder man ist klein wie wir und viele andere – dann braucht man Freunde, muss Allianzen schmieden und verstehen, was die gemeinsamen Themen sind und wo man gemeinsame  Argumentationslinien finden kann. Das ist unsere einzige Chance. Da sind multilaterale Organisationen extrem wichtig, weil wir in solchen viel mehr bewegen können, als das bilateral möglich ist. werden.

Es gibt zwei Möglichkeiten, sich global durchzusetzen: Entweder man ist die USA oder China, also groß und reich, und sagt, was man will, und bekommt es in den meisten Fällen. Oder man ist klein wie wir und viele andere – dann braucht man Freunde, muss Allianzen schmieden und verstehen, was die gemeinsamen Themen sind und wo man gemeinsame Argumentationslinien finden kann. Das ist unsere einzige Chance. Da sind multilaterale Organisationen extrem wichtig, weil wir in solchen viel mehr bewegen können, als das bilateral möglich ist.

Sie führen auch den Vorsitz im Direktorium der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität sowie im Risikoausschuss des  Europäischen Stabilitätsmechanismus. Wie wichtig ist es für Österreich, dass heimische Expertinnen und Experten in solchen Gremien mit am Tisch sitzen? Wäre der Informationsfluss aus den Institutionen sonst ein anderer?

Wir können nur dann bestehen, wenn wir Diskussionen in multilateralen Gremien mit starken Argumenten – und darin muss man eben gut sein – in eine Richtung bewegen können, die für uns positiv ist. Wir müssen andere überzeugen. Es gibt keinen Grund, dass irgendwer uns einen Gefallen tut, nur weil wir Österreich sind.

Sie sind bereits seit zehn Jahren Leiter der Sektion III im Finanzministerium. Die Digitalisierung ist in dieser Zeit immer weiter  vorangeschritten, so ist Onlinebanking am Smartphone heute ganz alltäglich. Wissen die Österreicherinnen und Österreicher genug über die Vor- und Nachteile dieser Entwicklung? Oder braucht es hier mehr Bildung?

Die Financial-Literacy-Initiative im Finanzministerium läuft sehr erfolgreich, und wir haben auch eine  Begutachtungsstellungnahme für die neuen Lehrpläne eingemeldet, da wir der Meinung sind, dass vor allem an den AHS zu wenig wirtschaftliche und finanzielle Bildung vermittelt wird. Das merken wir überall. Ich bemerke es auch an mir selbst, denn als ich maturierte, wusste ich nicht, was eine Mehrwertsteuer ist und wie wir eine Steuererklärung ausfüllen müssen, geschweige denn, wie man eine Bilanz liest. Das ist eigentlich unsäglich, denn die politische Debatte dreht sich insbesondere um Wirtschaftsthemen. Und wir bereiten einen großen Teil der Menschen dieses Landes nicht darauf vor.

3 Fragen, 3 Antworten

Sie sind beruflich viel unterwegs. In welche Länder reisen Sie privat?
Entweder nach Spanien, wo mein Vater lebt, oder nach Namibia, wo wir viel Familie haben.

Man weiß, dass Sie Musiker sind. Wie oft besuchen Sie noch Konzerte?
Zu selten. Das letzte Mal war ich mit meiner ältesten Tochter beim Reading Festival. Da ist man dann gezwungen, sich wieder mal ein Konzert anzuschauen, und da war ich sehr positiv überrascht.

Gibt es ein Erfolgsrezept, um in der öffentlichen Verwaltung Karriere zu machen?
Ich könnte jetzt lügen und sagen, man muss dies und jenes machen, und dann wird man Sektionschef. Aber vieles davon ist auch Glück. Dass ich in dieser Position bin, hat auch damit zu tun, dass ich das Glück hatte, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Andererseits hat man das Glück aber auch nur, wenn man die Anforderungen erfüllen kann.
Wir müssen schnell sein, wir müssen stressresistent sein, wir müssen hochprofessionell sein und wissen, was wir tun. Finanzsektorthemen sind extrem komplex, da braucht man wahre Expertinnen und Experten. Aber deswegen ist es auch so lohnend, weil man eine Herausforderung hat, die es auch wert ist, dass man sie angeht.

Financial Literacy.

Das BMF setzt im Rahmen der Österreichischen Jugendstrategie das Projekt Financial Literacy um. Ziel ist die Unterstützung junger Menschen beim Erwerb finanzwirtschaftlicher Kompetenz, die ein wesentlicher Faktor für wirtschaftliche Selbstbestimmtheit ist.

www.bmf.gv.at