30.05.2023 Die Republik

„Die Akzeptanz von Frauen ist keine Hürde mehr“

Andrea Leitgeb begann mit 38 Jahren ihre Karriere beim Österreichischen Bundesheer, die Medizinerin wurde als erste Frau Offizierin im Generalsrang. Als Evaluierungsdirektorin für das militärmedizinische System reist sie zu den Truppen in ganz Österreich und kennt deren Situation vor Ort. Lebenslanges Lernen sieht sie als persönliches Erfolgsrezept – und als Mittel gegen den Fachkräftemangel.

Interview: Cornelia Ritzer
Fotos: Franziska Liehl

 

Im Jahr 2014 wurden Sie die erste Frau Brigadier des Österreichischen Bundesheeres und standen im Rampenlicht. Wie waren die Reaktionen auf diesen Aufstieg?

Teilweise gab es Erstaunen, denn ich habe meine Bewerbung nicht an die große Glocke gehängt. Und ich habe eine Flut von Glückwünschen und Zuspruch erhalten, sowohl medial als auch persönlich aus dem Kameraden und Kollegenkreis. Im Internet gab es auch böse Kommentare. Das habe ich aber nicht auf mich gemünzt, es gibt einfach Personen, die so etwas schreiben. Und meine Familie hat sich natürlich sehr gefreut.

Hat es auch Reaktionen wie „Höchste Zeit, dass eine Frau Generalin wird“ gegeben?

Auch. Ich habe aus den USA und von anderen Armeen Glückwünsche bekommen, weil sich die Kunde über die Ministerien international verbreitet hat, dass jetzt auch Österreich eine Frau im Generalsrang hat. Anderswo gibt es das schon lange. Wir haben gegenüber anderen Armeen noch immer eine relativ niedrige Frauenquote, obwohl das jetzt schon sehr viel besser ist.

Andrea Leitgeb ist Fachärztin für Allgemeinchirurgie und begann ihre militärische Karriere beim Bundesheer im Jahr 2001. 13 Jahre später – im April 2014 – wurde die gebürtige Tirolerin zur ersten Frau Brigadier im Bundesheer ernannt.

Mit der Heeressanitätschefin, der Leiterin der Direktion 8, gibt es seit einigen Jahren eine zweite Frau – sie ist ebenfalls Medizinerin – im Generalsrang. Viele Frauen machen im Lauf ihrer Karriere jedoch die Erfahrung, dass es für sie eine gläserne Decke gibt. Mit welchen Hindernissen muss man als Frau im Bundesheer kämpfen?

Wenn eine Frau die Militärakademie macht und den Generalstabslehrgang absolviert, hat sie natürlich die Chance, aufzusteigen. Aber das dauert. Es wurde bereits begonnen, den weiblichen Nachwuchs zu fördern, nur geht das nicht so schnell. Militärmedizinerinnen dagegen sind Quereinsteigerinnen, für sie gibt es gewissermaßen eine gläserne Decke. Natürlich haben wir Medizinerinnen die militärische Ausbildung, und es ging relativ schnell, den Generalsrang zu erreichen. Aber wir können nur bis zu einem bestimmten Dienstgrad kommen und es ist auch nur eine begrenzte Anzahl von Stellen in diesem Rang zu besetzen

Aber die Frauenförderung im Bundesheer existiert?

Die existiert auf jeden Fall. Unsere Frau Minister schaut da drauf. Aber als Frau muss man auch was können.

Haben Sie einen Ratschlag für Frauen, die über eine Karriere im Bundesheer nachdenken? Und welche Eigenschaften sollten Frauen sowie Männer mitbringen, wenn sie diesen Weg einschlagen möchten?

Kameradschaft und Durchhaltevermögen, Belastungsfähigkeit und Reisebereitschaft sowie permanente Fortbildung sind die Hauptkriterien, um eine Karriere beim Heer – wie auch in der zivilen Welt – zu machen. Die Zeiten haben sich geändert, die Akzeptanz von Frauen beim Heer stellt keine Hürde mehr dar.
Man muss vor allem authentisch sein und sich selbst treu bleiben. Ich habe das immer getan. Zu versuchen, sich anders darzustellen, als man ist, wird auf die Dauer nicht klappen. Und natürlich ist der Aufstieg  manchmal beschwerlich – je höher man kommt, desto dünner wird die Luft. Das ist auch im zivilen Leben so. Man muss einen geraden Weg gehen.

Vor Ihrer derzeitigen Position als Evaluierungsdirektorin im Verteidigungsministerium waren Sie Kommandantin der Sanitätsschule des Bundesheeres. Welche Kompetenzen braucht man sowohl als Ärztin als auch als Generalin? 

Ich bin erst mit 38 Jahren zum Bundesheer gekommen. Das heißt, ich habe im zivilen Leben mit meinen Facharztausbildungen bereits viel Zeit mit Patientinnen und Patienten verbracht. Empathie und Einfühlungsvermögen waren mir immer wichtig. Dann kann man auch leichter herausfinden, was jemandem fehlt. Das war immer mein Ansatz. Auch Durchsetzungsvermögen, Fachkompetenz, fundiertes Wissen und die Fähigkeit, über den Tellerrand zu schauen, sind wichtige Voraussetzungen, um als Ärztin, in Führungspositionen und auch als Person im Generalsrang agieren zu können.

„Die Attraktivierung der medizinischen Berufe ist eine Aufgabe, die uns alle betrifft. Mehr Primärversorgungszentren würden sicher zu einer Entlastung der Spitalsambulanzen führen.“

Andrea Leitgeb, Brigadier

Der Fachkräftemangel beschäftigt künftig alle Institutionen. Wie kann man (junge) Menschen aus dem medizinischen Bereich überzeugen sich beim Bundesheer zu bewerben? Was macht das Bundesheer zu einem attraktiven Arbeitgeber?

Fachkräftemangel besteht nicht nur in der Medizin oder beim Österreichischen Bundesheer, sondern in allen  Branchen und in ganz Europa. Laut Statistik kommen ab 2024/25 starke Pensionsjahre auf uns zu, wenn die Babyboomer in Pension gehen. Und wir haben in manchen Bereichen zu wenig Nachwuchs, leider. Das wird in den nächsten Jahren eine große Herausforderung sein.
Das Bundesheer ist auch für Medizinerinnen und Mediziner ein attraktiver Arbeitgeber. Langfristige Perspektive, Karrieremöglichkeiten und Vielfältigkeit sind die Hauptanreize. Die junge Generation will eine gute Work-Life-Balance, ein adäquates Gehalt und eine Lebensplanung mit Familie haben. Als Ärztin beim Bundesheer habe ich einen guten und sehr abwechslungsreichen Job. Auch die Einsätze im Ausland sind planbar, selbst wenn man innerhalb von ein paar Tagen reisebereit sein muss, weil akut etwas passiert und man sich zur Bereitschaft meldet.
Ich habe als Oberärztin für Chirurgie angefangen, war dann Kommandantin der Sanitätsschule und bin erste Generalin geworden. Und jetzt bin ich Evaluierungsdirektorin für das gesamte militärmedizinische System in Österreich. Das ist für mich eine sehr schöne und auch sehr vielfältige Karriere. Man bekommt viele Möglichkeiten.

Was hat Sie damals überzeugt, zum Bundesheer zu gehen?

Ich war eine Abenteurerin und mich hat der Auslandseinsatz sehr gereizt. Ich war sieben Monate als Bataillonsärztin am Golan in Syrien. Da durfte ich dieses Land noch vor dem Krieg kennenlernen,
das war auch kulturell sehr interessant.

Während der Pandemie war das Gesundheitspersonal besonders stark gefordert. Viele haben – etwa aus Überlastung – den Beruf an den Nagel gehängt. Gibt es eine ähnliche Entwicklung in den  militärmedizinischen Diensten? Und wie kann man dieser Entwicklung entgegenwirken?

In den zivilen Krankenanstalten gibt es wegen der Belastung eine große Abwanderung in Privatspitäler und private Ordinationen. Und je mehr gehen, desto enger wird die Situation für die, die bleiben. Die Attraktivierung der medizinischen Berufe ist eine Aufgabe, die uns alle betrifft. Mehr Primärversorgungszentren würden sicher zu einer Entlastung der Spitalsambulanzen führen. Die Militärspitäler zum Beispiel werden durch die truppenärztlichen Ambulanzen entlastet. Die Belastungen und die Kündigungsrate im militärmedizinischen Dienst werden regelmäßig evaluiert, sind jedoch im Vergleich zum zivilen System gering. Unser Personal war in der Pandemie zwar sehr gefordert, weil wir im Assistenzeinsatz waren, aber das ist jetzt besser geworden. Obwohl natürlich auch wir einen Personalmangel haben, vor allem bei den Ärztinnen und Ärzten.

Erst kürzlich – und immer wieder – gab es öffentliche Diskussionen über Postenbesetzungen im Bundesheer. Werden Sie als Mitglied des Bundesheeres darauf angesprochen? Und wie reagieren Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen auf Kritik von außen?

Darauf werde ich nicht angesprochen, auch nicht im privaten Bereich. Das ist nichts  Bundesheerspezifisches, solche Dinge gibt es auch in anderen Ressorts. Ich kann dazu nichts sagen, weil ich nicht involviert bin. Politik ist Politik, und Arbeit ist Arbeit. Ich bin hier im Dienst.

Aufstiegsmöglichkeiten und Vielfältigkeit sind gute Argumente für die Arbeit beim Militär, sagt Andrea Leitgeb. Der Fachkräftemangel, der sich noch verschärfen wird, ist auch eine enorme Herausforderung für das Bundesheer.

Wir führen dieses Interview wenige Tage nach dem verheerenden Erdbeben an der türkisch-syrischen Grenze, das Bundesheer hat Soldaten ins Katastrophengebiet entsandt. In den letzten Jahren rückten viele Krisenherde immer näher, der russische Angriff auf die Ukraine hat Europa deutlich vor Augen geführt, dass ein geschlossenes Auftreten gegen den Krieg wichtig ist. Ist die Bedeutung des Bundesheeres
dadurch gestiegen?

Ich glaube, das Bundesheer war nie ungeschätzt. Nur in Friedenszeiten denkt man – vor allem die junge Generation – nicht daran, dass es auch anders sein könnte. Wenn dann was passiert, beginnt man nachzudenken. Dann sieht man, dass leider nichts unmöglich ist und das Bundesheer sehr wohl einen
wichtigen Beitrag zum Schutz und zur Sicherheit unserer Heimat beitragen kann.

Zuvor gab es immer wieder Stimmen, die die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht forderten, im Jahr 2013 fand auch eine Volksbefragung dazu statt. Ist diese Debatte nun – zehn Jahre später – endgültig vorbei?

Diese Diskussion ist jetzt überflüssig.  Wir sehen, dass wir ein Heer brauchen und dass es wichtig ist, die Wehrpflicht zu haben. Denn wenn mal was passiert, haben die Menschen zumindest eine Grundausbildung, sodass sie sich selber helfen können.

In den nächsten zehn Jahren soll das Budget des Verteidigungsministeriums deutlich ansteigen. Was kann diese Finanzspritze bewirken? Und kommt sie rechtzeitig?

Besser spät als nie – und es ist noch nicht zu spät. Die Modernisierung von Geräten, die  Attraktivitätssteigerung und das Sichern weiterer Arbeitsplätze für alle Fachrichtungen sind ein großer Schritt in die Zukunft. Derzeit entsteht in Innsbruck ein neues Militärspital mit einer Ambulanz für Alpin- und Höhenmedizin und einer Abteilung für Psychotraumatologie und Stressmanagement, das eine gute Kooperation mit dem zivilen Bereich ermöglicht. Ansätze und Pläne dafür waren schon lange da, nur das Geld hat einfach gefehlt. Jetzt kann man all das verwirklichen. Und das finde ich sehr, sehr gut.

Versorgung.

Aufgabe des Militärischen Gesundheitswesens ist die medizinische Versorgung der Soldatinnen und Soldaten und zivilen Bundesheerangehörigen in Österreich, bei internationalen Hilfseinsätzen und bei Friedensmissionen.

www.bundesheer.at