Gute Freunde, strenge Rechnung
Text: Cornelia Ritzer
2.059 Gemeinden gibt es in Österreich: Die kleinste, die Tiroler Ortschaft Gramais, zählt 41 Einwohnerinnen und Einwohner, Wien ist mit einer Bevölkerung von rund 1,9 Millionen Menschen Österreichs größte Stadt. Trotz dieser Unterschiede haben Gramais und Wien gemeinsam, dass es da wie dort Müllabfuhr, Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung gibt und die Daseinsvorsorge gewährleistet ist. Zum funktionierenden Alltag in Österreich gehören auch Krankenhäuser, Kindergärten und Schulen, Friedhöfe, öffentlicher Verkehr sowie Freizeitangebote wie Hallenbäder oder Büchereien.
Hier kommt der Finanzausgleich ins Spiel. Dieser ist laut Definition des Finanzministeriums „die Regelung der finanziellen Beziehung zwischen den Gebietskörperschaften. Er wird zwischen den Finanzausgleichspartnern (Bund, Länder, Gemeinden) im Verhandlungsweg vereinbart und findet seinen Niederschlag in den auf einige Jahre befristeten Finanzausgleichsgesetzen.“
Die Aufteilung der öffentlichen Aufgaben sowie der staatlichen Einnahmen ist komplex. „Die Verteilung der Aufgaben und Ausgaben ist der sogenannte passive Finanzausgleich, die Verteilung der Einnahmen der aktive Finanzausgleich“, erklärt Ökonomin Margit Schratzenstaller vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO).
Neben „dem großen Topf der Ertragsanteile, der Abgaben und der Transfers dazwischen gibt es noch andere Materien, die bestimmen, wie viel am Ende beim Bund, bei den Ländern und bei den Gemeinden bleibt“, sagt Karoline Mitterer, Koordinatorin für den Bereich Öffentliche Finanzen und Föderalismus beim KDZ – Zentrum für Verwaltungsforschung. Beispiele sind die ergänzenden 15a-Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern etwa zur Finanzierung der Kinderbetreuung, der Tagesbetreuung an Pflichtschulen und des Gesundheitsbereichs. Diese Punkte werden mit dem Verhandlungsergebnis im sogenannten „Paktum zum Finanzausgleich“ festgehalten.
Befristung als Besonderheit
Ein österreichisches Spezifikum ist die zeitliche Befristung dieses finanzpolitischen Instruments. „Andere Länder machen fallweise Reformen“, sagt WIFO-Expertin Schratzenstaller mit Blick auf Deutschland. „Verändern sich die Rahmenbedingungen zu sehr, kommt eine Reform.“ In Österreich sind die wiederkehrenden Verhandlungen institutionalisiert. Für die Ökonomin ist die Befristung ein Vorteil, „da auf Veränderungen von sozioökonomischen Rahmenbedingungen ohne Diskussion reagiert werden kann“. Die Befristung erlaube Flexibilität und Planungssicherheit – „ein guter Kompromiss“, findet Schratzenstaller.
Michael Getzner, Leiter des Forschungsbereichs Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik an der Technischen Universität (TU) Wien, hält die Befristung „dem Prinzip nach für gut, weil auf den Staat laufend neue Herausforderungen und Aufgaben zukommen oder sich Schwerpunkte ändern und finanziert werden müssen“. Als Beispiel nennt er den Klimaschutz: „Die Gebietskörperschaften erfüllen hier unterschiedliche Aufgaben, das muss finanziert werden“, so der Professor.
Der aktuelle Finanzausgleich – ursprünglich für die Periode 2017 bis 2021 verhandelt – wurde bis 2023 verlängert, um die Corona-Krisenbewältigung zu ermöglichen. In die Verhandlungen sind alle gebietskörperschaftlichen Ebenen eingebunden: Der Bund ist durch das Finanzministerium vertreten, die Bundesländer von den Landeshauptleuten beziehungsweise Finanzreferentinnen und -referenten, außerdem sind der Städte- und der Gemeindebund mit dabei. Die Verhandlungspartner „haben unterschiedliche Interessen, die im Prozess zusammenkommen“, erläutert Karoline Mitterer vom KDZ: Die Länder würden gegenüber dem Bund relativ geschlossen auftreten, wobei es oft Achsenbildungen gebe. Auf Gemeindeebene verfolgten allerdings der Städtebund und der Gemeindebund unterschiedliche Interessen – Ersterer vertritt die Städte, Letzterer kleinere, häufig ländlich geprägte Gemeinden.
Verschiedene Interessen an einem Tisch
Im Vorfeld der Verhandlungen „werden die Claims abgesteckt und es wird darauf hingewiesen, welche zusätzlichen Aufgaben von welcher Gebietskörperschaft übernommen wurden“, sagt Margit Schratzenstaller vom WIFO. Auch Michael Getzner beobachtet: „Die Interessen werden auf den Tisch gelegt, manchmal offener, manchmal weniger offen.“ Vor allem die Länder und Gemeinden müssen deutlich auf ihre Aufgaben aufmerksam machen, da ihre Budgets zu einem großen Teil aus den gemeinschaftlichen Bundesabgaben sowie aus Transfers gespeist werden.
Über die Wichtigkeit des Finanzausgleichs herrscht Einigkeit. Gleichzeitig gibt es Rufe nach Reformen. „Unser Institut ist heuer 50 Jahre alt“, berichtet TU-Professor Getzner über die Studienrichtung Raumplanung und Raumordnung. „Eines der ersten Forschungsprojekte Anfang der 1970er Jahre war zum Thema Finanzausgleich und Föderalismus. Schon damals wurde festgestellt, dass dieses System zu reformieren ist.“ Aus seiner Sicht müssten vor allem Grundsteuern und Vermögenssteuern „signifikant reformiert beziehungs-weise eingeführt“ werden. 2017 schien es einen Anlauf zur Reform der Grundsteuer zu geben, „die Einrichtung einer Arbeitsgruppe hat uns gefreut“, so Getzner. Diese habe aber wegen Uneinigkeit frühzeitig ihre Treffen beendet. Auch sei der Finanzausgleich „Ausdruck der Verfassung eines föderalen Staatsaufbaus“. Die Folge seien „neun Bauordnungen und neun Naturschutzgesetze mit den Folgen Flächenfraß und unnötig viel Infrastruktur für Betriebsflächen, die lange leer stehen“. Getzners Schlussfolgerung: „Die Entscheidung, welche Fläche verbaut wird, ist auf der untersten Ebene nicht gut aufgehoben.“
„Längst fällig“ ist die Grundsteuerreform auch für KDZ-Expertin Karoline Mitterer. Es gebe bereits neue Ideen für eine administrativ einfachere Umsetzung, diese müsste nur angestoßen wer-den. Ein Schwachpunkt des derzeitigen Systems ist für sie der abgestufte Bevölkerungsschlüssel: „Jede Gemeinde unter 20.000 Einwohnerinnen und Einwohner bekommt – egal, welche Aufgaben sie erbringt – pro Kopf gleich viel.“ Das sei sachlich nur schwer argumentierbar, „weil es einen Unterschied macht, ob es sich um eine Gemeinde mit 500 oder mit 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern handelt. Es bestehen unterschiedliche Aufgabenniveaus.“
Rufe nach mehr Transparenz
Außerdem gibt es laut Mitterer deutliche Transparenzmängel bei den Transfers zwischen Ländern und Gemeinden. „Hier fehlen schlicht die Daten und die Länder sind wenig auskunftsfreudig.“ Sie plädiert für eine Entflechtung, denn: „Die zahlreichen Transferzahlungen gefährden das finanzielle Gleichgewicht vieler Gemeinden, da diese Soziales und Gesundheit auf Landesebene kofinanzieren müssen.“ Die mangelnde Transparenz der Finanzströme ist auch für Margit Schratzenstaller ein Manko. „Es ist oft schwer, eine Gesamtschau darüber zu erhalten, wie und wie effizient die Mittel eingesetzt werden. Die Datengrundlagen zu verbessern wäre wichtig, um die Verhandlungen auf eine rationalere Grundlage zu stellen.“
Von den kommenden Finanzausgleichsverhandlungen erhofft Michael Getzner sich einen Fokus auf die Themen Klimaschutz und Biodiversität sowie Senkung des Flächenverbrauchs: „Für mich wäre das ein Erfolg, denn das sind die großen inhaltlichen Themen.“ Mitterer sieht „auf allen Ebenen gute Argumente, warum die Gebietskörperschaften mehr Geld brauchen“, und erwartet gerade deshalb heiße Debatten: „Der Bund hat Schulden aufgenommen, um durch die Corona-Pandemie zu kommen, und aktuell haben wir eine Inflationskrise. Andererseits hatten Länder und Gemeinden durch die Pandemie sehr hohe Mehrausgaben.“
Doch die Erwartungen der Expertinnen und Experten sind gering. Für Margit Schratzenstaller vom WIFO war „das Auffallendste in den vergangenen Jahren, dass es keine großen Veränderungen gab“. Der Föderalismus sei insgesamt reformbedürftig, sagt sie, um „Doppelgleisigkeiten, Aufgabenüberschneidungen und den zu schwachen Zusammenhang zwischen Aufgaben-, Ausgaben- und Einnahmenverantwortung auf Ebene der Länder und Gemeinden“ zu beenden. TU-Professor Getzner ist vorsichtig: „Man darf sich nicht erwarten, dass sich durch solche Verhandlungen große Sprünge er-geben.“ Bei den Aufgaben ändere sich erstaunlich wenig: „Das System, welche Ebene unseres Staates wie viel Geld ausgibt, ist stabil“, stellt er fest. Diesen Eindruck teilt auch Finanzausgleichsexpertin Karoline Mitterer: „Es gibt in der Regel keine gravierenden Änderungen gegenüber dem Vorjahr.“ Sosehr also Reformen gefordert werden – dass sie im nächsten Finanzausgleich kommen, ist äußerst unwahrscheinlich.
Reform.
Mehr Transparenz, mehr Zukunftsthemen – Expertinnen und Experten fordern immer wieder eine Reform des Finanzausgleichs. Das Bundesministerium für Finanzen (BMF) hat mehrere Studien dazu in Auftrag gegeben.
www.bmf.gv.at