15.12.2022 Die Republik

Lebensraum Österreich

Was hat der tiefste Punkt Österreichs im burgenländischen Seewinkel mit dem höchsten Gipfel des Landes, dem Großglockner, gemeinsam? Beide sind Teil von Nationalparks, hinter denen mehr steckt als bloß schöne Landschaft.

Text: Rainer Brunnauer-Lehner

 

Die insgesamt sechs heimischen Nationalparks repräsentieren die geballte Vielfalt Österreichs: Von der Steppe der Pannonischen Tiefebene über die Feuchtgebiete der Donau-Auen bis ins Hochgebirge der Ostalpen. Doch ein Nationalpark ist weit mehr als ein landschaftlich markantes Gebiet oder eine regionale Marke. Genau genommen kann ein Staat zwar nach Belieben Schutzgebiete ausweisen, ob sie aber international als Nationalpark anerkannt werden, darüber wacht die IUCN. Die International Union for Conservation of Nature and Natural Resources teilt Schutzgebiete auf der ganzen Welt nach den Zielen ein, die damit verfolgt werden, und danach, wie stark der Mensch in die ausgewiesenen Flächen eingreift.

Die Organisation unterscheidet dabei zwischen sechs Kategorien. Die strengste davon (Kategorie I) wird auch als Wildnisgebiet bezeichnet. Diese Gebiete dienen hauptsächlich dem Schutz und der Forschung, werden sonst aber weitgehend sich selbst überlassen und vor jeglichem Eingriff bewahrt. Schutzgebiete der Kategorie II dienen zusätzlich Erholungszwecken und werden Besucherinnen und Besuchern zugänglich gemacht. Sie entsprechen dem, was allgemein als Nationalpark verstanden wird.

„Strenge Schutzgebiete sind das Einzige, was rasch gegen das Artensterben hilft.“

Thomas Wrbka, Universität Wien

Wann der Mensch eingreift

Die Nationalparks Thayatal, Donau-Auen, Neusiedler See – Seewinkel, Gesäuse, Kalkalpen und Hohe Tauern erfüllen alle strengen Auflagen der IUCN: „Hier wird vom Menschen nur eingegriffen, wenn dies dem Erhalt von Lebensraum und dem Schutz von Ökosystemen dient“, sagt Christian Übl, Obmann des Dachverbands Nationalparks Austria. „Eine Almwiese ist beispielsweise keine unberührte Natur. Der Mensch hat sie geschaffen und pflegt er sie nicht, wächst sie zu und verschwindet. Trotzdem gibt es Tiere und Pflanzen, die nur in dieser sanften Kulturlandschaft leben und im Rahmen des Nationalparks schützenswert sind“, erklärt Übl. Er ist auch Direktor des Nationalparks Thayatal, wo zu den Maßnahmen der Nationalparkverwaltung unter anderem das Entfernen von eingeschleppten Pflanzen (Neophyten) zählt, die heimische Arten sonst verdrängen würden. „Außerdem versuchen wir, Einflüsse von außen auf die Nationalparks zu managen“, sagt Übl. Dazu gehören etwa schwankende Wasserstände durch Wasserkraftwerke oder unerwünschter Nährstoffeintrag durch Düngung auf benachbarten Flächen.

Zu den Aufgaben der Nationalparks zählt unter anderem die Wissensvermittlung. Rangerinnen und Ranger begleiten und unterstützen beim Entdecken der Schutzgebiete. Fotos: Nationalparks Austria/Stefan Leitner

Lebensraum im Föderalismus

Während in vielen Staaten die Bewahrung der Natur als nationale Aufgabe gesehen wird, sind in Österreich die Bundesländer für den Naturschutz verantwortlich. Aufgrund der Bedeutung der Nationalparks arbeiten Bund und Länder aber zusammen und teilen sich die Kosten für Errichtung und Betrieb. Symbolisch für die Zusammenarbeit steht die Vereinbarung von Heiligenblut im Jahr 1971, in der die Landeshauptleute von Kärnten, Salzburg und Tirol die Errichtung eines großen Schutzgebietes festschrieben. Zehn Jahre später machte Kärnten mit seinem Teil des Nationalparks Hohe Tauern den Anfang und schränkte die Erschließung alpiner Flächen für den Skibetrieb sowie die Energiewirtschaft im betroffenen Gebiet ein.

Die Nationalparks sind als Unternehmen, Verein oder Körperschaft öffentlichen Rechts organisiert, ihre Rahmenbedingungen und Bewirtschaftung sind jedoch alle in entsprechenden Landesgesetzen festgelegt. Neben Schutzmaßnahmen und dem Interessenausgleich zwischen Naturschutz, Grundeigentümern, Wirtschaft und öffentlicher Hand gehören die Erhaltung von Erholungsräumen sowie Wissensvermittlung und Forschung zu ihren Aufgaben.

Denn die Schutzgebiete spielen nicht nur für die Erforschung bedrohter Tier- und Pflanzenarten eine wichtige Rolle. Sie sind selbst ein spannender Forschungsgegenstand: Wie wirkt sich zum Beispiel ein Schutzgebiet auf die Biodiversität außerhalb seiner Grenzen aus? Welche Bedeutung Schutzgebiete haben und welchen Beitrag sie zum Kampf gegen das Artensterben leisten, stand im Fokus eines internationalen Forschungssymposiums im September 2022 unter dem Motto „Der Biodiversitätskrise begegnen“.

Veranstalter dieser Konferenz waren die Nationalparks Austria: „Strenge Schutzgebiete sind das Einzige, was rasch gegen das Artensterben hilft. Insofern haben wir die Hoffnung, mit dem Forschungssymposium ein Stück weit auch die Bedeutung von Nationalparks und vergleichbaren Flächen stärker ins öffentliche Bewusstsein zu bringen“, sagt Thomas Wrbka von der Universität Wien, der die Konferenz organisierte.

Chancen und Krisen

Neben aktuellen Herausforderungen für die Artenvielfalt wie dem Klimawandel, intensiver Landwirtschaft, der Zersiedelung und dem demografischen Wandel, die Ökosysteme zunehmend belasten, gibt es auch positive Entwicklungen. Mit dem European Green Deal will die Europäische Kommission dem Artensterben und der Klimakatastrophe entgegenwirken. Demnach sollen künftig mehr Flächen nicht mehr intensiv genutzt werden. „Wie Trittsteine durch einen Fluss soll dadurch ein grüner Korridor die Lebensräume von Schutzgebieten wie Nationalparks quer über den Kontinent verbinden“, sagt Christian Übl.

Ein Punkt im Green Deal betrifft die Ausweitung von Schutzgebieten: Bis 2030 sollen zehn Prozent der gesamten Fläche Europas durch ebenso strenge Auflagen wie Nationalparks geschützt werden. In Österreich sind es aktuell gerade einmal drei Prozent. Darüber hinaus verspricht die EU-Kommission zusätzliche Mittel für Renaturierungsmaßnahmen und den Erhalt von Lebensraum.

Dies könnte der in Österreich vergleichsweise jungen Idee der Nationalparks zusätzlichen Schwung verleihen. Denn während die Hohen Tauern mit 42 Jahren das älteste Schutzgebiet der Republik sind, reicht die Geburtsstunde des Konzepts viel weiter zurück: Der weltweit erste Nationalpark (Yellowstone National Park) wurde vom US-Kongress bereits 1872 ausgewiesen.

Informationen.

Wer mehr über die einzelnen Nationalparks wissen will oder einen Ausflug dorthin planen möchte, findet Informationen und das Angebot von Rangerinnen und Rangern auf der Website des Dachverbands Nationalparks Austria.

www.nationalparksaustria.at