15.03.2022 Die Republik

Mit starker und geeinter Stimme

Inoffiziell nennt man sie auch die „EU-Botschaft Österreichs“: Die Ständige Vertretung Österreichs bei der Europäischen Union wirkt an gewichtigen Entscheidungen mit.

Bestimmte Botschaftsgebäude verkörpern schon in ihrer äußeren Erscheinung den Geist ihres Landes, manche maßvoll klassizistisch, andere modern verglast. Im Falle des Hauses, in dem die Ständige Vertretung Österreichs bei der Europäischen Union untergebracht ist, begegnen wir einer diskreten Mischung aus beidem. Der Zweckbau fügt sich, ganz im Einklang mit dem österreichischen Prinzip der Neutralität, nahtlos und unauffällig in das unmittelbare Umfeld aus Brüsseler Verwaltungsbauten der EU ein – vom gegenüberliegenden Europäischen Auswärtigen Dienst bis hin zum drei Fußminuten entfernten Berlaymont- Gebäude, das die Europäische Kommission beherbergt. Zunächst war es gerade der Anspruch der Neutralität, der einem Beitritt Österreichs zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) lange Zeit im Wege stand. Erst 1989, als mit dem sich abzeichnenden Ende des Kalten Krieges auch ein Wandel des Neutralitätsverständnisses stattfand, reichte Österreich ein Beitrittsgesuch ein. Mit dem Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 1995 wurde zugleich die Ständige Vertretung Österreichs bei der EU, sozusagen die „EU-Botschaft“ Österreichs, eröffnet. Die Beziehungen zwischen Österreich und der EU, die zuvor gegenüber der EWG über andere Kanäle abgewickelt wurden – ab 1960 etwa über die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA) und ab 1987 zusätzlich über die sogenannte Arbeitsgruppe für Europäische Integration –, laufen seitdem weitgehend über diese Behörde.

Umfeld. Das Europa-Gebäude, Sitz des EU-Rats und Austragungsort der Gipfel von Staats- und Regierungschefs, liegt unweit vom Österreich-Haus, dem Sitz der Ständigen Vertretung. Es wird für multilaterale Gipfelkonferenzen und Ministertreffen genutzt. Im größten Raum des Gebäudes haben 300 Personen Platz. Das fröhliche Muster umfasst insgesamt 62 Farben und wurde vom belgischen Künstler Georges Meurant entworfen. © John Thys/AFP/picturedesk.com

Beziehungen pflegen, Interessen wahren

In der Ständigen Vertretung – dem „rot-weiß-roten Haus“ – in Brüssel arbeiten Expertinnen und Experten aus verschiedensten Bereichen unter der Leitung des Botschafters Nikolaus Marschik daran, dass der Informationsfluss und die Beziehungen zwischen Österreich und der EU reibungslos funktionieren. Vor allem aber sollen die Interessen der Republik Österreich gegenüber den EU-Institutionen und anderen Mitgliedstaaten gewahrt werden. Die Ständige Vertretung erfüllt damit grundsätzlich die Funktion einer Botschaft, allerdings nicht gegenüber einem souveränen Staat, sondern gegenüber einer internationalen Organisation, der Österreich selbst angehört.

Mit dem Beitritt im Jahr 1995 wurde zugleich die Ständige Vertretung Österreichs bei der EU, sozusagen die „EU-Botschaft“ Österreichs, eröffnet.

Dieser feine Unterschied führt manchmal auch zu Widersprüchen: Was tun, wenn das Vorgehen einer Union, der man selbst angehört und die man im Fundament mitträgt, den eigenen Interessen zuwiderläuft?

Ein einzelner Staat, zumal ein kleiner, kann im Alleingang wenig bewirken, doch gemeinsam beeinflussen die Mitgliedstaaten die Gangart der Union.

In diesen seltenen Fällen ist besonderes diplomatisches Geschick gefragt. So etwa in den Jahren 2015 und 2016, als Österreich eine Obergrenze in der Aufnahme von Flüchtlingen einführen wollte, ein Vorhaben, das bei der EUKommission auf scharfe Ablehnung stieß. In solchen Situationen geht es darum, sich um alternative Lösungen zu bemühen oder sich die Unterstützung anderer Staaten zu holen. Denn die EU steht und fällt nach wie vor mit ihren Mitgliedstaaten. Ein einzelner Staat, zumal ein kleiner, kann im Alleingang wenig bewirken, doch gemeinsam beeinflussen die Mitgliedstaaten die Gangart der Union. Vor EU-Gipfeln werden daher zuweilen auch die Staats- und Regierungschefs anderer Staaten zu einer Vorbesprechung in die Ständige Vertretung eingeladen. So sucht Österreich nach Partnern, die seine Verhandlungsposition teilen und diese gemeinsam voranbringen.

Interessen. In Streitfragen ist diplomatisches Geschick gefragt: Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer im Austausch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. © BMEIA

Gebündelte Interessen

Woher aber weiß die Ständige Vertretung in Brüssel, was im Interesse Österreichs liegt und was nicht? Dazu unterhalten das Bundeskanzleramt und alle zwölf Bundesministerien jeweils eigene Dienststellen in der Ständigen Vertretung, während mit der Abteilung Länderangelegenheiten, dem Österreichischen Städtebund und dem Österreichischen Gemeindebund auch die föderalen Ebenen vertreten sind. Neben der Österreichischen Nationalbank und der Industriellenvereinigung sind außerdem die Sozialpartner in der Ständigen Vertretung repräsentiert. Aus all diesen Kanälen bündelt die Ständige Vertretung verschiedene Interessen zu einer gemeinsamen Stimme Österreichs. Um diese Stimme stark zu machen, unterhält die Vertretung unter anderem intensive Beziehungen zur EU-Kommission, zum Europäischen Parlament und zum Rat der EU (auch Ministerrat genannt). Als erste Ebene im Arbeitsprozess wirken Expertinnen und Experten der Ständigen Vertretung in 188 Arbeitsgruppen und Ausschüssen, die sich einerseits mit Wirtschaftspolitik, Kulturfragen oder Sozialschutz, andererseits mit sehr spezifischen Ad-hoc-Themen auseinandersetzen, und bereiten die Themen inhaltlich vor. Die nächste Ebene, der Ausschuss der Ständigen Vertreter, koordiniert die Arbeit für alle Tagungen des Ministerrates und versucht, auf seiner Ebene ein Einvernehmen zu erzielen, um das jeweilige Vorhaben schließlich den Ministerinnen und Ministern im Rat der EU zur Annahme zu unterbreiten.

Inoffizielle Funktion. Das Haus der österreichischen „EU-Botschaft“ dient auch als diskreter Empfangsort für diplomatische Unterredungen. © European Union 2021/Dati Bendo,

Was für Laien nach einem bürokratischen Ungetüm klingen mag, hat in Wirklichkeit sehr konkrete Auswirkungen. Der Rat der EU erlässt Rechtsakte, koordiniert die Politik der Mitgliedstaaten, entwickelt eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, schließt internationale Abkommen und legt gemeinsam mit dem Europäischen Parlament den EU-Haushaltsplan fest – dies alles unter Mitwirkung der Ständigen Vertreter. Wie jede Botschaft nimmt die Ständige Vertretung auch inoffizielle Funktionen wahr. Sie dient als diskreter Empfangsort für diplomatische Unterredungen, Vorbereitungen und Entscheidungsfindungsprozesse. Als beispielsweise im Jahr 2009 die Britin Catherine Ashton zur ersten EU-Außenbeauftragten gekürt wurde, fiel unter den europäischen Sozialdemokraten an der Ständigen Vertretung Österreichs bereits die Vorentscheidung. So mag das Gebäude in der Brüsseler Avenue de Cortenbergh von außen unscheinbar wirken. In seinem Inneren werden aber die Geschicke Europas und Österreichs maßgeblich mitbestimmt.

Karriere bei der Ständigen Vertretung

Um in den diplomatischen Dienst aufgenommen zu werden, ist neben bestimmten persönlichen Eigenschaften der Abschluss eines Bachelor -, Diplom-, Master- bzw. Doktoratsstudiums oder die Absolvierung des Diplomlehrgangs an der Diplomatischen Akademie in Wien unabdingbare Voraussetzung. Aktuelle Jobausschreibungen finden Sie auf der Website der Ständigen Vertretung:

www.bmeia.gv.at/oev-bruessel/