30.05.2023 Die Republik

Sag niemals nie: Abenteuer Quereinstieg

Wer in der Mitte der Karriere in die Verwaltung wechselt, ist nicht einfach spät dran – sondern Teil eines Trends. Drei Quereinsteigerinnen erzählen, was den öffentlichen Dienst für sie attraktiv gemacht hat. Und warum „externe“ Erfahrung am neuen Arbeitsplatz so wertvoll ist.

Text: Clemens Stachel

 

Es war die Entscheidung zu einem Abenteuer.“ Lachend erinnert sich Martina Frühwirth an den Moment, als sie sich vor fünf Jahren um die Stelle bewarb, die sie heute innehat: als Referentin in der  Magistratsabteilung Architektur und Stadtgestaltung der Gemeinde Wien. Mit dem „Abenteuer“ meint die Wienerin aber weniger ihre jetzige Tätigkeit – ihre „MA“ plant und gestaltet den öffentlichen Stadtraum – als vielmehr ihr damaliges Wagnis, sich im Alter von 46 Jahren beruflich komplett neu zu orientieren. „Ich habe davor über 20 Jahre im Kulturbereich gearbeitet: Ich war im Architekturzentrum Wien angestellt, habe für Ö1 Radiosendungen gestaltet“, erzählt Frühwirth.

„Ich hatte mir einen Namen gemacht, ein gutes Netzwerk aufgebaut, wie das für eine Karriere in diesem Bereich notwendig ist. Der Umstieg in die Stadtverwaltung bedeutete für mich also auch, diesen Namen aufzugeben. Jetzt bin ich Teil eines großen Ganzen, und es trägt den Namen Stadt Wien.“ Dafür, sagt Frühwirth, übe sie jetzt endlich den Beruf aus, für den sie eigentlich ausgebildet ist: Landschaftsplanerin. „Und ich mag es, mit meinem Wissen und Engagement genau an dem Platz zu sein, wo ich gebraucht werde.“

In der Abteilung Architektur und Stadtgestaltung der Stadt Wien fühlt sich Martina Frühwirth „genau an dem Platz, wo ich gebraucht werde“.
Fotos: Marion Pertschy (2)

Das Wagnis hat sich für Martina Frühwirth also bezahlt gemacht. Aber haben wir es hier mit einem  extravaganten Einzelphänomen zu tun – oder mit der Vertreterin eines stärker werdenden Trends? Dass Berufskarrieren heute im Allgemeinen vielfältiger, brüchiger, veränderlicher verlaufen als vor 30 Jahren, ist ja nichts Neues. Doch erst seit relativ kurzer Zeit können wir beobachten, wie sich diese Dynamik auch auf den öffentlichen Dienst auswirkt.

Andreas Buchta-Kadanka, Gruppenleiter im Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS), liefert hilfreiche Zahlen dazu: „Wir könnten als grobe, pragmatische Definition des ‚Quereinsteigens‘ ein Eintrittsalter von über 35 Jahren heranziehen. Wie groß ist also der Anteil der über 35-Jährigen bei den externen Neuaufnahmen im Bundesdienst? 2017 lag dieser Anteil bei rund 21 Prozent, 2019 bei 22 und im abgelaufenen Jahr schon bei 28,5 Prozent.“

„Wer quereinsteigt, kann für frischen Wind sorgen, den Austausch fördern und neue Ideen hereinbringen.“

Andreas Buchta-Kadanka, Experte für Verwaltungsinnovation

Die Gründe für diesen Anstieg verortet Buchta-Kadanka einerseits in einem gesamtgesellschaftlichen Trend, nämlich dass „immer mehr Menschen Berufe suchen, die für sie sinnstiftend sind, wie eben der Dienst an der Gemeinschaft“, andererseits aber auch in ganz konkreten gesetzlichen Maßnahmen der
vergangenen Jahre: „Es wurde etwa in manchen Bereichen leichter gemacht, Vordienstzeiten anzurechnen. Außerdem wurden die Einstiegsgehälter mit der Dienstrechtsnovelle 2022 merklich angehoben. Das macht den öffentlichen Dienst auch für ältere Einsteigerinnen und Einsteiger attraktiver.“ Diese aktiv anzuwerben hält der Experte für Verwaltungsinnovation im BMKÖS für notwendig: „Der öffentliche Dienst hat traditionell weniger Fluktuation als der private Sektor, die Laufbahnen dauern länger. Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger können hier für frischen Wind sorgen, den Austausch fördern und neue Ideen hereinbringen.“

Neue Perspektiven

Für Miriam Kröll fühlte sich der Umstieg in die Verwaltung wie ein Seitenwechsel an. Zwölf Jahre lang  hatte die Innsbruckerin als Journalistin bei der „Tiroler Tageszeitung“ gearbeitet – und in dieser Rolle regelmäßig auch aus dem Innsbrucker Rathaus berichtet. Mit 24 Jahren war sie „Tiroler Journalistin
des Jahres“, 2014 zählte sie das Branchenportal „newsroom.de“ zu den engagiertesten „500 Medienfrauen“ im deutschsprachigen Raum. „Und trotzdem bin ich noch im selben Jahr von einem Medienunternehmen in den öffentlichen Dienst gewechselt“, erzählt die heute 40-Jährige.

„Ich hatte damals auch Wechselangebote privater Unternehmen, doch die Aufgabe in der Stadt hat mich am meisten gereizt.“ Im Rathaus war genau ihr Know-how gefragt: Gleich im ersten Jahr nach ihrem Quereinstieg konzipierte und koordinierte Kröll den Relaunch des Infomagazins der Stadt mit einer Printauflage von 60.000 und des Webportals „ibkinfo.at“ sowie den Ausbau der Social-Media-Kanäle. Im Jahr 2018 übernahm sie dann die Leitung des Amtes „Bürgerservice und Außenbeziehungen“. Das war nach der Geburt ihres ersten Kindes. „Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein großer Pluspunkt im Verwaltungsdienst“, sagt sie. „Ich konnte direkt nach dem Mutterschutz in Vollzeit wiedereinsteigen. Das ging natürlich nur, weil ich eine Homeoffice-Vereinbarung hatte. Wohlgemerkt: Schon vor der Corona-Pandemie! Ich glaube nicht, dass das in der Privatwirtschaft in dieser Form möglich gewesen wäre.“

Miriam Kröll wandelte sich von der angesehenen Journalistin zur Leiterin des Amtes für Bürgerservice und Außenbeziehungen im Innsbrucker Rathaus.
Foto: Die Fotografen

Die größte Umgewöhnung im neuen Job bedeutete für Kröll die Arbeit hinter den Kulissen – das  kennenlernen der Verwaltungsstrukturen, die zwingenden rechtlichen Vorgaben, die genaue Dokumentation des eigenen Tuns. „Diesen mitunter anstrengenden, aber notwendigen Teil der Arbeit hatte ich als Journalistin gar nicht auf dem Schirm“, erzählt sie. „Überhaupt war es spannend, wie sich mein Blick aufs Rathaus verändert hat, durch den ich die Entscheidungswege und Strukturen noch besser nachvollziehen konnte.“

Jeder Umstieg, sagt Kröll, brauche ein gewisses Maß an Anpassung: „Ich finde es ganz wesentlich, dass man sich als Quereinsteigerin das Vertrauen der Kolleginnen und Kollegen erarbeiten muss. Das war gerade in meinem Fall wichtig, weil ich ja in der Rolle als kritische Journalistin gerade auch auf Mängel im System aufmerksam gemacht hatte. Und nun war ich plötzlich Teil davon.“

Argument Gleitzeit

Der Quereinstieg in die Verwaltung war aber auch zu jenen Zeiten möglich und populär, als im Bundesdienst ein „Aufnahmestopp“ galt, also in den Jahren vor 2015. Ab 2009 durften jährlich mehrere
hundert Bundesbeamtinnen und -beamte, die bei der Österreichischen Post AG und der Telekom Austria voraussichtlich bald nicht mehr gebraucht worden wären, ins Finanz-, Innen- oder Justizministerium wechseln.

Maria Kohlberger war damals eine der Ersten, die den Übertritt wagten. „Ich hatte 22 Jahre bei der Post gearbeitet, davon 15 Jahre als Filialleiterin. Als ich dann ins Finanzamt Linz kam, musste ich in vielen Bereichen ganz von vorne anfangen“, erinnert sie sich heute an ihren Jobwechsel mit 43 Jahren. Kohlberger durchlief die Grundausbildung und die Funktionsausbildung im Infocenter, eignete sich das nötige steuerrechtliche Wissen an und wurde keine drei Jahre nach dem Umstieg erneut in eine Leitungsposition befördert. „Die Erfahrung, die man als ‚ältere‘ Einsteigerin mitbringt, kann sicherlich ein
Startvorteil in der neuen Organisation  sein“, meint Kohlberger.

„Man hat als erfahrene Beamtin für sich schon ein gewisses Arbeitssystem entwickelt, in dem man sich wohlfühlt und effizient arbeiten kann.“ Was sie an ihrer neuen Dienststelle im Gegensatz zur alten von Beginn an schätzte, war das Gleitzeitmodell: „Als ich wechselte, ging meine Tochter noch in die Schule. Die flexiblen Arbeitszeiten haben mir das Leben als Mutter mit einem Schlag erleichtert. Früher bei der Post musste ich fixe Arbeitszeiten einhalten.“

Die vormalige Postbeamtin Maria Kohlberger ergriff die Chance zum Wechsel in die Finanzverwaltung. Ihre Leitungserfahrung zählte auch an der neuen Dienststelle.
Foto: BMF/FAÖ

Aber kann das Administrieren von Gesetzen überhaupt ein Traumberuf sein? Ist das nicht ein ziemlich trockenes Tagesgeschäft? „Ganz und gar nicht“, sagt Martina Frühwirth. „Ich finde es großartig, dass die Richtschnur unseres Handelns die Gesetze sind – also das Ergebnis eines demokratischen Prozesses. Wer administriert, der übernimmt so etwas wie die Qualitätssicherung des öffentlichen Lebens. Wir hier zum Beispiel müssen den öffentlichen Raum für alle Menschen gestalten. Also auch für jene, die in der Politik nicht zu Wort kommen oder nicht wählen dürfen. Ich kann ganz direkt für mehr Gerechtigkeit in der Stadt sorgen.“

Arbeit und Wirkung

Ähnlich sieht das Maria Kohlberger, die im Finanzamt-Infocenter „den idealen Arbeitsplatz“ für sich entdeckt hat: „Der Kundenverkehr ist das, was ich schon in meiner vorigen Arbeit geliebt habe. Es ist ein gutes Gefühl, ‚ganz normalen Menschen‘ helfen zu können. Gerade beim Thema Steuern, wo sich viele
schnell verlieren.“ Womit wir wieder bei der Verwaltungsarbeit als fundamentalem Dienst am Zusammenleben der Menschen wären. So wie es auch Martina Frühwirth beschreibt, wenn sie am Ende eines Arbeitstages hinaus auf die Straße tritt und direkt am Meidlinger Markt steht. Eine belebte, bewegte, auch vom Stadtbild her unruhige Gegend. „Was ich mir vor meiner Zeit in der Verwaltung niemals erwartet hätte“, sagt sie, „ist, wie schwer ich die Arbeit ‚abschalten‘ kann. Denn wohin ich auch gehe, sehe ich die Auswirkungen meiner Arbeit in der Praxis.“

Karrierechancen.

Auf der Jobbörse des Bundes lässt sich die Liste der freien Stellen im Dienst der Republik durchsuchen. Nach der Registrierung können Interessierte auch ein Karriereprofil anlegen oder einen „Jobagenten“ einrichten, der sie stets über neue Angebote informiert.

jobboerse.gv.at