30.05.2023 Die Republik

Smart Cities, Smart Regions: Die Datenstadt der Zukunft

Magazin
In urbanen Lebensräumen werden schon heute immer mehr Daten miteinander vernetzt. Vieles wird für die Bewohnerinnen und Bewohner dadurch einfacher. Smart-City-Ansätze können bei der Lösung gegenwärtiger und zukünftiger Probleme helfen, doch sie bergen auch Risiken.

Text: Jana Maria Unterrainer

 

Mehr als die Hälfte der Österreicherinnen und Österreicher lebt heute in Städten und dieser Anteil wird künftig weiter steigen. Aber wie sieht die Stadt der Zukunft aus? Wie werden wir in ihr leben und arbeiten?

Nach Schätzungen der Weltbank werden 2050 weltweit sieben von zehn Menschen in Städten wohnen. Große Herausforderungen, wie etwa der Umgang mit dem Klimawandel, verlangen nach Lösungen. Fest steht, dass wir stärker von Technologien profitieren werden. Das sogenannte Internet of Things (IoT) wird immer wichtiger. Mehr und mehr Gegenstände, Wohnräume und öffentliche Orte werden mit dem Internet verbunden, und sie generieren und verarbeiten digitale Daten. In vielen Privathaushalten helfen Sensoren bei der Regulierung der Raumtemperatur oder verrichten Staubsaugerroboter ihren Dienst. Auch der öffentliche Raum wird zunehmend digital: An Bauwerken und Pflanzen angebrachte Sensoren liefern schon heute wertvolle Umweltdaten. Die Stadt der Zukunft wird eine Smart City sein.

In Städten und Gemeinden soll eine nachhaltige und vielfältige Fortbewegung ermöglicht werden. Damit auf Autos mit Verbrennungsmotor verzichtet werden kann.
Fotos: Wien 3420 aspern Development AG/Daniel Hawelka, Luiza Puiu

Doch was sind Smart Cities beziehungsweise Smart Regions? Auf diese Frage haben Fachleute unterschiedliche Antworten. Für die Datenexpertin Marlies Temper von der Fachhochschule St. Pölten sind Smart Cities „vernetzte Städte, die Daten sammeln und aus diesen Wissen extrahieren, um damit das Wohlbefinden der Bevölkerung zu steigern“. Durch digitale Lösungen sollen Städte und Regionen effizienter im Umgang mit Problemen werden. Anhand der Daten von sogenannten Umweltsensoren lässt sich zum Beispiel ermitteln, wo neue Parks oder Grünanlagen sinnvoll wären oder an welchen Orten ideale Bedingungen für Photovoltaikanlagen herrschen. Auch unsere Mobilität wird sich durch das IoT verändern. So kann mittels digitaler Live-Daten festgestellt werden, wie ausgelastet eine Straßenbahnlinie ist.

Informatiker Schahram Dustdar von der Technischen Universität Wien hält das Label Smart Cities für „sehr geduldig“, denn ganz unterschiedliche Projekte bekämen es zurzeit verliehen. Ein loser Bezug zum Thema genüge schon, um neue Initiativen in der Stadt entsprechend zu branden, beobachtet der Experte. Zugleich sieht er in dem Ansatz großes Potenzial. Mit der digitalen Datenvernetzung werde es möglich, „neuartige Dienste anzubieten, die es vorher nicht gab“. So können heute etwa medizinische Untersuchungsergebnisse dank Vernetzung ortsunabhängig von verschiedenen Gesundheitsdienstleistern abgerufen werden.

Im Bereich der öffentlichen Verwaltung gilt es laut Dustdar vor allem die starke Fragmentierung aufzulösen, um die Synergien der Smart-City-Konzepte zu nutzen. Er zieht dabei den Vergleich zum menschlichen Körper: „Wir haben eine bestimmte Wahrnehmung unseres eigenen Körpers. Aber in Wirklichkeit sind es Milliarden von Zellen und Bakterien, die in uns zusammenarbeiten müssen, ohne dass wir es bemerken.“ Für „smarte“ Projekte in der  Verwaltung brauche es daher einen ganzheitlichen Blick, um Potenziale zu erkennen.

Was nützt die Technik, die nicht verwendet wird?

Bei Smart Cities beziehungsweise Smart Regions gehe es darum, wie das „Leben des Einzelnen und der Communitys beziehungsweise einer ganzen Stadt vernetzter gestaltet“ werden könne, sagt Dustdar. Die „Smart Cities Initiative“, eine Kooperation des Klimaund Energiefonds sowie des Klimaschutzministeriums (BMK), hat Ziele für österreichische Projekte definiert. Konkret soll mittels Datenvernetzung die Lebensqualität der Menschen gesteigert und der Ressourcenverbrauch minimiert werden. Ein solches Smart-City-Konzept hat etwa die Stadt Wien.

Der Einstieg in das Thema beginne mit der Frage nach dem zugrundeliegenden Stadtbegriff, sagt Thomas Madreiter, Planungsdirektor der Stadt Wien im Geschäftsbereich Bauten und Technik. In seiner Zukunftsvision steht die Stadt als lebendiger Organismus im Zentrum. Madreiter und sein Team arbeiten deswegen an einem Stadtmodell, welches „das Soziale in den Mittelpunkt rückt“. Dazu wurden für Wien Ziele festgelegt, die sich an den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen orientieren. Das oberste Gebot ist, dass Wien bis 2040 klimaneutral sein soll. Auf der nächsten Ebene gilt es, die hohe Lebensqualität für alle Wienerinnen und Wiener zu erhalten und dabei soziale Aspekte zu bedenken. Drittens liege es den Planerinnen und Planern der Bundeshauptstadt am Herzen, Forschung und Innovation sowie Bildung als Basis für eine smarte Stadt voranzutreiben, betont der Planungsdirektor.

„Smart Cities sind vernetzte Städte, die Daten sammeln und aus diesen Wissen extrahieren, um das Wohlbefinden der Bevölkerung zu steigern.“

Marlies Temper, Datenexpertin FH St. Pölten

Die Seestadt Aspern wurde als Kooperationsprojekt der Stadt Wien und des Bundes ins Leben gerufen, um die Stadtentwicklung in der schnell wachsenden Metropole voranzutreiben. Sie war von Beginn an als Laboratorium angelegt, in dem die Smart City der Zukunft erprobt werden sollte. Bis heute ist eine eigene Forschungseinrichtung dort untergebracht, die sich mit Energienutzung befasst. Madreiter hält es für entscheidend, nicht bloß Neues zu implementieren, sondern auch zu untersuchen, wie Innovationen von der Bevölkerung angenommen werden. Wie gehen etwa die Bewohnerinnen und Bewohner der Seestadt Aspern mit den neuen Möglichkeiten um? Das Forschungsteam beobachtet dazu einzelne Wohnungen und das Verhalten der Menschen dort.

Als Beispiel nennt der Planungsdirektor der Stadt Wien die „Smart Meter“: Manche Menschen würden in den digitalen Zählgeräten zur Erfassung des Stromverbrauchs eine Bedrohung durch mehr Überwachung vermuten. Daher müsse man das Projekt gut erklären. Es gehe darum, „die technischen Möglichkeiten mit den sozialen Potenzialen und Optionen in Einklang zu bringen“, sagt Thomas Madreiter. Die Stadt Wien möchte dabei nicht mit erhobenem Zeigefinger auftreten, wie Madreiter am Beispiel des Individualverkehrs erklärt: „Es ist unser Job als öffentliche Verwaltung, den Menschen Strukturen anzubieten, die sie selbst merken lassen, dass sie kein Auto mehr besitzen müssen, wenn es klügere Alternativen gibt.“ Seiner Einschätzung nach wird das Privatauto in der Stadt schon bald der Vergangenheit angehören. Unerlässlich sei aber die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger, betont Madreiter. Die Stadt Wien hat daher mehrere Bürgerbeteiligungsprojekte ins Leben gerufen. Ein Beispiel sind die sogenannten Klimateams, die Ideen mit positiver Klimawirkung entwickeln. 2022 entstanden in diesem Rahmen 102 Projektskizzen, von denen 19 in den nächsten zwei Jahren umgesetzt werden sollen.

Internationale Vorbilder für die Städte der Zukunft

Smart Cities sind keine österreichische  Erfindung, entsprechende Konzepte werden auf der ganzen Welt erprobt. Planungsdirektor Thomas Madreiter verweist etwa auf das Stadtkonzept von Barcelona, das Digitalisierung als Beitrag zur Demokratisierung besonders berücksichtigt. Städte wie Amsterdam,
Hamburg oder Kopenhagen seien wiederum Vorbilder, wenn es um Mobilitätslösungen und den effizienten Umgang mit öffentlichen Räumen gehe, sagt er.

Informatiker Schahram Dustdar war beruflich in vielen Ländern der Erde unterwegs. Er ist der Ansicht, dass sich gewisse Smart-City-Konzepte mit der Zeit global durchsetzen und wir schon bald eine Art Standardisierung oder auch Baukastenlösungen erleben werden. Interessante Projekte gebe es im Mittleren Osten, etwa in Abu Dhabi oder Dubai; auch in China werde viel mit Smart Cities experimentiert, berichtet Dustdar. Allerdings gilt China aufgrund der weitreichenden staatlichen Überwachung mittels Gesichtserkennung vielen als Negativbeispiel.

Was darf der Staat über die Menschen wissen?

Die Problematik, dass digitale Technologien für Überwachungszwecke verwendet werden können, erkennt auch Stadtplaner Thomas Madreiter. Entscheidend sind für ihn die politischen Bedingungen in einer liberalen Demokratie: „In Österreich begegnen Menschen einander auf Augenhöhe – das Bild vom Staat als überwachendes System sollte uns nicht leiten.“ Er hält aber auch nichts von Smart-City-Lösungen, die auf eine „Cockpit-Perspektive“ setzen, bei der wenige Menschen viele beobachten und bewerten. Generell sei es kein Problem, dass der Staat Daten nutze, findet Schahram Dustdar. Vielmehr gehe es um grundlegende Fragen: Mit welchen Absichten werden die Daten genutzt? Welches Menschenbild liegt ihrer Verwendung zugrunde? Bei der Vernetzung digitaler Daten stehe schließlich immer deren „Nutzbarmachung“ im Vordergrund, ob durch den Staat zum Wohl der Bevölkerung oder durch IT-Konzerne wie Google oder Facebook für ihre Geschäftsinteressen.

Der Privacy-Experte Peter Kieseberg von der FH St. Pölten sieht Smart-City-Technologien kritisch, vor allem wenn sie zur Terrorbekämpfung eingesetzt werden. Der Staat sollte davon absehen, einzelne Menschen zu tracken, fordert er. Falls über Methoden wie Gesichtserkennung im öffentlichen Raum nachgedacht werde, müsse es dafür strenge rechtliche Rahmenbedingungen geben. Auf europäischer Ebene sei man sich dieser Problematik bewusst und versuche aktiv gegenzusteuern, sagt Datenexpertin Marlies Temper. So soll die EU-Verordnung über Künstliche Intelligenz („AI Act“) etwa die Bewertung einzelner Personen hinsichtlich ihres Verhaltens verhindern, wie dies in China geschieht. Bereits mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) habe die EU dafür einen wichtigen Grundstein gelegt, sagt Privacy-Experte Kieseberg. Denn darin stehe ausdrücklich, dass die Datensouveränität beim Individuum liege. Hier sei ein deutlicher Unterschied zum chinesischen Datenverständnis erkennbar.

Kieseberg und Temper sind sich einig: Auf keinen Fall sollte die Angst vor Überwachung uns davon abhalten, die Entwicklung von Smart Cities voranzutreiben; allerdings müsse der Fokus auf der großen Menge an verfügbaren Daten liegen, die ohne Personenbezug sind. Nach ihrer Ansicht sollte die öffentliche Verwaltung vor allem bestehende Projekte fördern und in die Ausbildung zukünftiger Expertinnen und Experten investieren. Damit die digital vernetzten, „smarten“ Städte der Zukunft auch lebenswert sind.

Transformation.

Österreichs Städte und Gemeinden im Sinne des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit zu umzugestalten – das ist das Ziel der „Smart Cities Initiative“. Bisher wurden 155 Stadtprojekte und zwölf Begleitmaßnahmen durch den Klima- und Energiefonds gefördert.

www.smartcities.at